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Achterbahn fürs Nervensystem: 2 Jahre Selbstständigkeit

Lesedauer: 22 Minuten

Heute, am 24. Februar 2023, feiere ich zwei Jahre Wunderland Coaching!
Auf meine ersten zwei Jahre der Vollzeit-Selbstständigkeit blicke ich in diesem Artikel zurück – mit besonderem Augenmerk auf das Nervensystem. Denn für mein Nervensystem war vor allem das erste Jahr die reinste Achterbahnfahrt.

Dieser Rückblick ist recht lang und intensiv. Wenn dir gerade die Zeit und/oder der Nerv fehlt, so tief einzutauchen, empfehle ich dir, zu Abschnitt 9 („…und was mir geholfen hat“) zu springen. Dort findest du ganz konkrete Schritte, um mit dem Nervensystem zu arbeiten – und dafür musst du noch nicht mal selbstständig sein, das lässt sich auf alle Lebensbereiche übertragen!

Buchempfehlung für die Arbeit mit dem Nervensystem: "Der Vagus-Nerv als innerer Anker" von Deb Dana

Für den Blick auf das Nervensystem stütze ich mich vorrangig auf zwei Ressourcen. Beide kann ich absolut empfehlen, um sich selbst besser verstehen zu lernen:

  1. Das Buch “Der Vagus-Nerv als innerer Anker – Angst und Panik überwinden, Ruhe und Stärke finden” von Deb Dana (z. B. hier über genialokal erhältlich)
  2. Das kostenfreie Training “Die Neurobiologie echter Transformation” von Britta Kimpel, der Gründerin der NESC-Coaching-Methode

Warum der Blick auf das Nervensystem?

Seit etwas über einem Jahr lerne ich immer mehr über und beschäftige mich mit dem autonomen Nervensystem – wie es völlig ohne unser Zutun funktioniert und wie wir mit diesem Wissen dennoch bewusst mit ihm arbeiten können (statt seinen automatischen Reaktionen hilflos ausgeliefert zu sein).

Das hat mir die Augen geöffnet und sehr geholfen, mich noch besser zu verstehen – und noch besser für mich zu sorgen. Denn mit ein paar grundlegenden “Kniffen” ist schon viel getan.

Als ich mehr über das Nervensystem lernte, bemerkte ich allerdings auch, wie ich meines mit meinem Sprung in die Selbstständigkeit (über)strapaziert hatte. Deshalb war ich zunächst geneigt zu sagen, ich sei zu früh in die Selbstständigkeit gestartet – und doch war alles genau richtig so, wie es war.

Wie ich darauf komme, erzähle ich dir jetzt. Lass’ uns dafür zuerst mal einen Blick zurück vor die Zeit meiner Selbstständigkeit werfen. Denn viele der Herausforderungen, die mir in meiner Selbstständigkeit begegnen, begleiten mich schon weit länger als zwei Jahre.

2020: Einmal alles auf Null

Das Jahr 2020 stand für mich unter dem Zeichen des Neuanfangs. Ich hatte meinen Job gekündigt und trat zum 1. Februar aus.

Meine Hauptbeschäftigung im ersten Halbjahr 2020!

Und zwar in eine komplette Auszeit: Ich war ziemlich ausgebrannt und widmete mich erstmal meiner Psychotherapie, die ich mit letzter Kraft angeleiert hatte. Glücklicherweise begann diese just in der letzten Woche meines Angestelltendaseins, sodass ich direkt mit Unterstützung in meine Auszeit startete und nicht einfach in ein Loch fiel.

Zu Beginn meiner Auszeit wusste ich nämlich absolut nicht, wo mir der Kopf stand. Ich war einfach nur erschöpft und musste mich – wie es meine ehemalige Kollegin so treffend sagte – erstmal von der Zeit in dem Job erholen.

Heute, mit etwas Abstand, weiß ich: Es war nicht nur dieser Job, von dem ich mich erholen musste. Der war nur die Spitze des Eisbergs. Er war ja auch eigentlich völlig okay, nur hatte ich eben schon davor jahrelang gegen meine eigene Wahrheit gelebt und damit mein Nervensystem und meine Seele über alle Maßen strapaziert!
Dieser Entwicklung setzte der Job, den ich hatte, einfach nur noch die Krone auf. Er war sozusagen der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Nicht, weil es ein miserabler Job war, sondern weil er absolut nicht mir entsprach.

Bis 2020: Nervensystem im Ausnahmezustand

Vor meiner Auszeit war mein Nervensystem also jahre-, eigentlich sogar jahrzehntelang in einem absolut ungesunden Dauerstress-Zustand. In völliger Übererregung, die daher rührte, dass ich schon früh das Gefühl hatte, nicht dazuzugehören. Ich war “zu leise”, “zu genau”, “zu empfindlich”, in vielerlei Hinsicht nicht wie “die anderen” und “zu” irgendwas.

Ich hatte immer das Gefühl, mich beweisen und vor allem: mich anpassen zu müssen.
Anders gesagt: Ich hatte das Gefühl, es sei nicht sicher, wirklich ich zu sein. Und mein Nervensystem, dessen oberste Aufgabe meine Sicherheit ist, war ständig auf der Suche nach Gefahren und witterte sie an jeder Ecke.

Mein “Normalzustand” lag irgendwo zwischen Überaktivierung und Überforderung.

Ein Ausdruck der Überaktivierung war z. B. mein Drang, mich ständig beweisen zu müssen: Nicht einfach mein individuell Bestes zu geben und damit gut genug zu sein, sondern immer noch ein, zwei Schippen drauflegen zu müssen, ist die reinste Kampfreaktion. Und dann die ständige Angst, jemandem könnte auffallen, dass ich ja eigentlich gar nicht so toll in meinem Job war (auch bekannt als Impostor-Syndrom)!

Die große Diskrepanz zwischen Außen und Innen (denn ich bekam durchaus Lob für meine Arbeit!) führte immer öfter zu maßloser Überforderung und mündete schließlich im Shutdown, auch bekannt als Burnout.

Nervensystem in Aufruhr und ich völlig erschöpft - mein Normalzustand 2018
Ich im Oktober 2018 – nach einem Jahr im Arbeitsleben schon völlig erschöpft (und nein, meine müden Augen lagen nicht an den Pflanzen im Hintergrund 😄 die waren da nur Deko)

Nun war es keineswegs so, dass mein ganzes System (Körper, Seele, Geist) mir nicht schon längst signalisiert hätte, dass meine Situation und mein Verhalten nicht gut für mich waren: ständige Erkältungen, Verdauungsbeschwerden, immer weiter sinkendes Energieniveau, fehlende Konzentration, Unzufriedenheit und Widerstand gegen so ziemlich alles und jeden, Aufschieberitis vom Feinsten, das völlige Missachten meiner Intuition, extreme Reizbarkeit, dann immer öfter eine große innere Leere.

Auf allen Ebenen waren die Anzeichen da – ich brachte sie nur sehr lange nicht miteinander in Verbindung und dachte leider auch, sie “gehörten eben dazu”…

Irgendwann musste dieser Zustand einfach umschlagen. Nachdem keine der (unbewussten) Kampf-und-Flucht-Reaktionen und auch keine der (bewussten) Symptombehandlungen aus vergangenen Jahren zur Verbesserung meiner Situation geführt hatte, leitete mein autonomes Nervensystem also die nächste Stufe ein: den Shutdown. Oder in meinem Fall mehrere “kleinere” Shutdowns, wie an dem einen Montagmorgen, als meine Beine einfach streikten und ich partout nicht vom Sofa aufstehen konnte.

Die große Erkenntnis

Aus diesem Zustand kam ich 2020 in meine Auszeit. Alleine, diese anzuleiern, hatte mich enorm viel Kraft gekostet – und gleichzeitig auch wieder Energieressourcen freigesetzt, denn endlich hatte ich wieder ein Gefühl der Selbstwirksamkeit: Ich nahm mein Leben in die Hand – ich trat für meine Bedürfnisse ein und sorgte für Veränderung.

In der Therapie machte ich in den ersten Monaten große Fortschritte. Die Zeit für mich, ohne irgendetwas leisten zu müssen, war sehr heilsam. Aber auch sehr herausfordernd – zum einen sind wir in Deutschland doch ziemlich auf Leistung getrimmt und solche Prägungen legt man nicht einfach so ab. Zum anderen war mein Körper in den vergangenen Jahren schlicht und ergreifend süchtig nach dem Hormoncocktail geworden, der bei Stress ausgeschüttet wird!

Die große Erkenntnis, die mich Mitte des Jahres traf, war dementsprechend eine Mischung aus zwei Dingen: Ich kam mir selbst endlich wieder näher, begann zu spüren, welche Ideen, Eigenschaften, Wünsche von mir selbst (bzw. meiner Intuition) kamen und welche von den Erwartungen anderer herrührten.

Und mein Nervensystem wurde durch den ungewohnt ruhigen Zustand alarmiert und setzte alles daran, das Verlangen meines Körpers nach den “fehlenden” Stresshormonen zu stillen!

Durch die neue Idee und Zukunftsperspektive wurde mein System also wieder aktiviert. Endlich gab es wieder eine Richtung, in die meine Energie gelenkt werden konnte.
Vor allem aber setzte direkt das große Zweifeln ein und führte zu inneren Konflikten und Stress – sprich: zum altbekannten Zustand, von dem ich auf Entzug war.

“Ich, Coach?! Mit gerade mal 30? Bin ich nicht viel zu jung, bringe viel zu wenig Erfahrung und Expertise mit?!”
Dieser Zweifel saß sehr tief, doch durch die neu gewonnene Nähe zu mir selbst konnte ich ihm zum Glück etwas entgegensetzen:
Auf das Alter kam es gar nicht an. In meinen 30 Runden um die Sonne hatte ich schon mehr Lebenserfahrung gesammelt als manche Menschen in 80 Jahren.

Ich hatte selbst die Erfahrung gemacht, wie es sich anfühlt, sich so weit von sich selbst entfernt zu haben, dass man die Person im Spiegel kaum zuordnen kann.
Wie es sich anfühlt, einem Traum nachgejagt zu haben, der nicht der eigene war, und eines morgens aufzuwachen und zu denken “Verdammt, was MACHE ich hier eigentlich???”
Und wie es gelingen kann, wieder zurück zu sich selbst zu kommen und aus diesem Leben auszubrechen, das nicht das eigene ist.

Mir dämmerte: Genau darin wollte ich Menschen begleiten – und auch die Fähigkeiten dazu brachte ich mit! Zum Beispiel habe ich mit meiner Empathie und Fähigkeit, zuzuhören, ohne direkt einen Input geben zu müssen, schon immer hinter die Kulissen geschaut und gespürt, was eigentlich los ist.

Dank der zurückeroberten Nähe zu mir selbst konnte ich das erkennen. Ich konnte mir eingestehen und erlauben:
Ja, ich will Coach werden und Menschen in genau den Prozessen begleiten, die ich selbst größtenteils alleine durchlaufen habe.

Darf ich das?

Schon Mitte 2020 reifte dieser Gedanke also in mir. Zum einen, weil es mir nach einigen Monaten des “Nichtstuns” und der Therapie schon viel besser ging.

Zum anderen, weil ich von klein auf auf Leistung getrimmt war und langsam, aber sicher – eingeleitet durch mein autonomes Nervensystem und diese alten Prägungen – hibbelig wurde: Ich muss doch jetzt mal eine Perspektive schaffen. Ich kann schließlich nicht für immer auf der faulen Haut liegen, ich muss doch was leisten! Ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft sein und nicht nur von ihr profitieren, ohne etwas zu geben!

Mit solchen Gedanken hatte ich leider oft zu kämpfen und sie drängten mich zu schnellem Handeln – obwohl ich rational wusste, dass das weder wahr, noch förderlich war:

Erstens war da so etwas wie Trotz, denn durch den absurden Leistungsdruck unserer Gesellschaft war ich ja erst auf diese Bahn geraten, die mich krank und arbeitsunfähig gemacht hatte. War das Arbeitslosengeld also nicht quasi mein Schmerzensgeld?

Zweitens wusste ich tief in mir drin, dass ich einen wesentlich größeren, sinnvolleren und besseren Beitrag würde leisten können, wenn es mir selbst richtig gut ginge und ich das tun würde, wofür ich wirklich hier bin und was ich richtig gut kann. Und dass ich dafür erstmal selbst wirklich gesund und gut aufgestellt sein müsste.

Und doch kam da diese Stimme in mir auf, die mich antrieb und die mir keine Alternative ließ: Ich musste jetzt mal langsam in die Pötte kommen. Meine Familie würde mich sicher nach dem Arbeitslosengeld weiter finanziell unterstützen, aber hatte ich das wirklich verdient? Musste ich nicht ihnen gegenüber eine Leistung vorweisen, eine Art “Zweck” ihrer Geldanlage? War dafür “einfach nur” mein Wohlergehen nicht viel zu wenig?

Mir ist übrigens sehr bewusst, wie privilegiert meine Lage war! Viele haben gar keine andere Möglichkeit und müssen für Einkommen sorgen, um überhaupt überleben zu können. 

Dennoch finde ich es – mir fällt kein anderes Wort ein – krass, wie sehr gesellschaftliche Prägungen und vergangene Erfahrungen dafür sorgen können, dass ein solcher Druck entsteht, obwohl es de facto andere Möglichkeiten gäbe! In meinem Fall zum Beispiel: Das Arbeitslosengeld auslaufen lassen und mit dem Rückhalt meiner Familie gänzlich heilen, um dann neue berufliche Wege zu schaffen.

Stattdessen verlangte die antreibende Stimme in mir, dass ich etwas würde “vorweisen” können, wenn das Arbeitslosengeld ausliefe. Einen Plan. Eine Rechtfertigung, eine Daseinsberechtigung.
Dieser Druck war immer da, selbst wenn ich ihn nicht immer aktiv wahrnahm: er schwang irgendwie so mit und beeinflusste mich in meinen Entscheidungen und in meinen Gefühlen.

Und er veranlasste mich dazu, nach einer geeigneten Coaching-Ausbildung zu suchen – nicht einfach so, sondern mit dem klaren Ziel, Anfang 2021 als Coach in die Selbstständigkeit zu starten und damit meinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

Ready or not: der Startschuss

Schwupps, war ich schon alleine durch die Suche und den enormen Druck dahinter zurück in den Zustand der Übererregung katapultiert:

Im Dschungel der Coaching-Ausbildungen die richtige zu finden, war total überfordernd.
“Die Richtige” kam dann zu mir, als ich mal für eine Woche aufgehört hatte, zu suchen – und alles fühlte sich richtig an. Ich fühlte mich bereit.

Rückblickend frage ich mich an dieser Stelle allerdings: Wie bereit war ich wirklich und wie groß war dann doch der Einfluss meines inneren Antreibers, dem der (gesellschaftliche) Druck im Nacken saß?

Inwiefern war die Entscheidung zu dem Zeitpunkt eine Kampf-Reaktion meines Nervensystems, eine Art Flucht nach vorne, um der Unsicherheit des ständigen Zweifelns und inneren Drucks zu entkommen und um den gewohnten Zustand wiederherzustellen?

Tja, so genau werde ich das nie wissen.

Vermutlich war es ohnehin eine Mischung:
Die Coaching-Ausbildung an sich war wirklich (sogar zu dem Zeitpunkt) gut – sie gab mir eine Perspektive und inhaltlich konnte ich daraus sehr viel auch für meine eigene Entwicklung und Reflexion mitnehmen.

Der Termindruck, der damit einherging, war hingegen zu viel. Der entstand zum einen durch den straffen Terminplan der Ausbildung selbst mit wöchentlich neuen Inhalten und dem Abschluss nach 3 Monaten, insbesondere aber durch mein (aus Erwartungsdruck heraus) selbst gesetztes Ziel, ab dem 1.1.2021 als selbstständige Coach Geld zu verdienen.

Die ersten Monate: Stresspegel steigend

Ich im Januar 2021: die Selbstständigkeit war gestartet, mein Nervensystem hochaktiviert
Januar 2021: hochmotiviert und über-aktiviert

Gerade hatte ich mich von einem extrem hohen Stresspegel erholt und mein Nervensystem zum ersten Mal seit Jahren zurück in einen Bereich gebracht, in dem an guten Schlaf, innere Ruhe, echte Entspannung und funktionierende Körperfunktionen endlich wieder zu denken war.

Und dann katapultierte ich mich wieder auf ein Level, das gerade so ein bisschen niedriger lag:

Schon vor dem offiziellen Start in die Selbstständigkeit gab es einiges zu tun. Anmeldung, Krankenversicherung, diverse Ämter, Gespräche mit meiner Familie über die Finanzierung, erste Probecoachings, meinen Instagram-Account,… Ursprünglich sollte sogar meine Website direkt zum 1.1. an den Start gehen – dauerte nur ungefähr 4 Monate länger 😀

Dann die Fragen von interessierten und wohlmeinenden, aber kritischen und völlig Online-Business-fremden Menschen, WIE ich mir das denn nun alles so vorstellte – ob sich denn überhaupt Geld verdienen ließe mit sowas in diesem Internet…

All die Fragen, wie ich das denn alles anstellen wollte, stressten mich enorm – ich wusste es doch selbst nicht so genau!

Da half auch das Schreiben eines rudimentären Business Plans für mich selbst absolut nicht – es war nur eine von vielen Methoden, die mir im Außen präsentiert wurden, wie “man” an so ein Business herangeht. Die (viel zu) strategische Herangehensweise führte allerdings nur dazu, dass ich mich wieder von meinem wahren Kern entfernte. Dass ich wieder die Antworten vergaß, die ich doch alle schon in mir trug. Oder dass ich sie übersah und manchmal sogar willentlich überging, weil sie viel zu “weich”, zu wenig strategisch, zu naiv, zu langsam schienen.

Was mich als Business-Starterin besonders stresste…

Hier war ich also wieder: Völlig lost und überfordert, hatte mich selbst schon wieder ein Stück weit aus den Augen verloren. Und fing wieder an, die Antworten und Erfolgsrezepte im Außen zu suchen: Belegte einen Business-Starter-Kurs nach dem anderen. Sog alles auf, was von diversen Expert*innen zu den Themen zu finden war, die mich umtrieben. Versuchte mich in den Anzug eines Onlineunternehmerinnen-Prototypen zu pressen, der mir aber doch gar nicht passte!

Einer von vielen (halbherzigen) Versuchen, mich in eine Struktur zu zwängen, die eigentlich nicht wirklich zu mir passte.

Damit widersprach ich in vielen meiner Handlungen wieder dem, was ich fühlte – wie ich es früher so oft getan hatte. Da war wieder die Diskrepanz zwischen Innen und Außen, die das Nervensystem so stresst, weil es dadurch lernt, dass “Ich selbst sein” nicht sicher ist.

Und es entstand auch wieder ein großer innerer Widerstand, weil vieles, was in solchen Business-Starter-Kursen (selbst in “ganzheitlichen”) vermittelt wird, einfach völlig gegen meine Werte geht: Marketing-Tricks, utopische Versprechungen, aggressive Kommunikation, das Rumreiten auf “pain points”, generell “höher, schneller, weiter”,… – das konnte ich nicht mit meinen höchsten Werten Authentizität, Wertschätzung und Nachhaltigkeit vereinbaren. Gleichzeitig sah ich, dass genau diese Strategien zu funktionieren schienen! Zwar vermutlich weniger für die Käufer*innen (wenn nur das Symptom behandelt wird, statt der Ursache, meldet die sich zwangsläufig irgendwann wieder), aber offensichtlich für die Anbieter*innen.

Also versuchte ich, das mitzunehmen, was zu mir und meinen Werten passte. Das andere nahm ich nur leider ebenfalls wahr und es “triggerte” mich – mein altbekanntes Gefühl, nicht gut genug zu sein, nicht genug zu leisten, es nicht hart genug zu probieren, einfach zu empfindlich zu sein für die Online-Welt und niemals erfolgreich sein zu können. Mich anpassen zu müssen, lauter, schneller, aggressiver werden zu müssen.

Ich sah das nicht ein und gab ihm nicht nach – wenn sich in mir alles sträubt, vertraue ich mittlerweile darauf, dass es nichts für mich ist. Es gibt einen Unterschied zwischen dem inneren Widerstand, der signalisiert “Lass’ die Finger davon, das ist nichts für dich” und der Angst, die sich einfach ein wenig vor Unbekanntem fürchtet und die man liebevoll an die Hand nehmen kann.

Dabei jedoch standhaft zu bleiben – bei MIR zu bleiben -, war und ist immer wieder die größte Herausforderung für mich.

Besonders, weil ich von Natur aus neugierig bin und es mich nun mal interessiert, was andere Menschen so machen. So auch meine Coaching-Kolleg*innen! Beim Anblick all dessen, was die alles tun, ständig am Umsetzen sind und ein Angebot nach dem anderen raushauen, bin ich allerdings besonders in meinem ersten Business-Jahr mehr als einmal zurück in den Strudel des “nicht genug”-Fühlens geraten.

Wie gesagt: Ich glaubte, mehr leisten zu müssen. Und das widersprach meinem festen Vorhaben, mein Business von Anfang an nachhaltig gesund aufzubauen, also achtsam mit meinen Ressourcen – der Grundlage für mein Business – umzugehen.

Für „selbst und ständig“ war ich noch nie zu haben. Ich startete Wunderland Coaching, um ständig ich selbst sein zu können – mit meiner stillen Stärke, meinem eigenen Biorhythmus und meinem großen Ruhebedürfnis.
Da es leider in der Natur der Sache liegt, dass die Lauteren, Extravertierten häufiger zu sehen sind oder mehr auffallen und dass bei Social Media immer nur ein klitzekleiner Ausschnitt zu sehen ist (in der Regel das, was gut läuft), führte der Blick nach außen, selbst das „Vernetzen“ mit eigentlich Gleichgesinnten, eher zu einem Mangelgefühl als zu wirklichem Miteinander und Inspiration.

… und was mir geholfen hat

Das ständige Mangelgefühl durch den Vergleich mit anderen, die selbst herbeigeführte Reizüberflutung und Überforderung – um zukünftig einen gesünderen Umgang damit zu finden, musste ich vor allem eins: meine innere Sicherheit stärken!

1. Zur Ruhe kommen

Zuerst musste ich mir diese Gefühle eingestehen – und dann aufhören, unter dem Deckmantel der Inspiration immer wieder zu schauen, was andere machten.

Denn das war es, was mich selbst davon abhielt, die Dinge umzusetzen, die zu mir passten. Was mich immer wieder ungeduldig werden ließ, wenn ich gefühlt wieder viiiiel langsamer war als alle anderen.

Sobald ich das erkannt hatte, konnte ich etwas dagegen tun.
Es zu erkennen und wirklich anzuerkennen und danach zu handeln, dauerte ungefähr ein weiteres Jahr. Das erste Jahr meiner Selbstständigkeit, in dem ich nach dem “Trial & Error”-Prinzip vieles ausprobiert hatte, hatte mich so gefordert, dass ich Ende des Jahres schon wieder eine Auszeit brauchte. Auch zwischendurch hatte ich mir Business- und vor allem Social-Media-Auszeiten gegönnt – allerdings immer erst dann, wenn es eigentlich schon zu spät und ich schon wieder kurz vor dem Ausbrennen war.

So wollte ich mein Business nicht führen: Teil meiner Mission ist es, Menschen zu einem achtsameren und liebevolleren Umgang mit sich selbst zu verhelfen. Und dazu gehört eben ganz elementar, die eigenen Ressourcen zu ehren und Pausen (oder Auszeiten) ganz natürlich mit einzubauen – nicht erst dann, wenn sie längst überfällig sind!
Eine gesunde Balance zwischen Aktivierung und Entspannung ist nämlich das A und O eines regulierten Nervensystems.

Balsam für das Nervensystem: Social Media Apps löschen - hier Instagram

Da durfte ich mir also dringend an die eigene Nase fassen. Die Auszeit im Dezember 2021 tat mir unheimlich gut. Währenddessen war ich nicht auf den sozialen Medien unterwegs. Ich nahm weder weitere “Inspiration” auf, noch versuchte ich selbst, Inspiration herauszugeben – ich WAR einfach mal. Dachte nicht über meine nächsten Schritte nach (denn irgendwelche Gedanken zu meinem Business waren sonst immer in meinem Kopf präsent), sondern lebte wirklich mal nur im Moment.

Dadurch kam ich zur Ruhe und das gab meinen Gedanken den nötigen Raum, sich ganz von selbst zu sortieren – ohne, dass ich mir aktiv noch mehr Gedanken dazu machen musste.

2. Ablenkungen reduzieren

Und so startete ich in das Jahr 2022: Mit neuen Ideen, vor allem aber deutlich mehr innerer Ruhe und Sicherheit. Ich verabschiedete mich nach und nach von den diversen “Inspirationsquellen” (die diesen ursprünglichen Zweck für mich ja schon lange nicht mehr erfüllten) und fing Schritt für Schritt an, endlich mein Ding zu machen – etwas, was ich mir eigentlich von Anfang an fest vorgenommen hatte, was dann aber der fehlenden inneren Sicherheit, durch die ich enorm auf die Ablenkungen im Außen ansprang, zum Opfer gefallen war.

Es galt also, meine innere Sicherheit weiter zu stärken und die Ablenkungen im Außen drastisch zu reduzieren. Denn die zurückgewonnene innere Ruhe ließ mich an diesem Punkt erkennen, dass mein Nervensystem noch viel Aufmerksamkeit brauchte, um mich wirklich wieder sicher in mir zu verankern und zukünftig eben nicht durch äußere Eindrücke aus dem Gleichgewicht zu geraten – und dafür brauchte ich noch eine ganze Weile Abstand von ihnen.

Ganz konkret sah das bei mir so aus: Ich verhängte mir selbst ein Weiterbildungs-Verbot; ich “mistete” meine Social-Media-Accounts radikal aus und entfolgte fast allen Accounts von Kolleg*innen und Business Coaches (ja, auch denen, deren Inhalte ich großartig fand und die ich sehr schätzte!); und ich reduzierte den Austausch mit Kolleg*innen über Business-Themen auf ein absolutes Minimum.

Denn auch, wenn gefühlt alle empfehlen, sich ein Netzwerk aufzubauen und regelmäßig auszutauschen, gilt das meiner Meinung nach nur bedingt. Nämlich so lange, wie es wirklich ein für beide Seiten fruchtbarer Austausch ist. Wenn ich hingegen gerade in einer innerlichen Verfassung bin, die es mir nicht erlaubt, zwischen “ist für mich wertvoll” und “passt nicht zu mir” klar zu differenzieren, dann sollte ich mich von solchen Gesprächen fernhalten (bzw. nur ganz gezielt nach Input und Unterstützung fragen) und erst meine innere Sicherheit stärken.

Der wichtigste Schritt hin zu mehr innerer Sicherheit war für mich die nun schon mehrfach angesprochene Reizreduktion. Auszeiten, regelmäßige Pausen, mich auf “meins” zu konzentrieren und die Ideen umzusetzen, die in mir selbst entstanden – statt mich zwischen zu vielen von außen inspirierten Ideen nicht entscheiden zu können und am Ende gar nichts umzusetzen.

3. Nachrichtenkonsum reduzieren

Genauso wichtig war es für meine innere Sicherheit, möglichst wenig Nachrichten zu konsumieren. Zum Beispiel jährt sich heute leider auch der russische Angriffskrieg auf die Ukraine – und auch sonst gehen in der Welt erschreckende Dinge vor sich.

Als feinfühliger Mensch muss ich wirklich aufpassen, Negatives nur ganz bewusst und in kleinen Dosen zu konsumieren und ebenso bewusst den Fokus auf Positives zu legen.

Das Nervensystem kann nämlich nicht unterscheiden, ob die Kriegsszene sich gerade nur auf dem Bildschirm abspielt oder wir mittendrin stecken – besonders durch Bilder wird es aktiviert, “fährt hoch” und springt in den Kampf-oder-Flucht-Modus oder sogar in den Shutdown.
In meinem Fall eher Letzteres, weil dazu noch die Eigenschaft der Feinfühligkeit kommt und mich das Geschehen emotional mitnimmt. Und wenn ich so lahmgelegt werde, ist niemandem geholfen!

Auch hier war also “öfter abschalten” das Mittel der Wahl.

4. Nervensystem regulieren

Darüber hinaus arbeitete ich aktiv mit meinem Nervensystem, und zwar (u. a.) durch…

Balsam für das Nervensystem: Der Blick in die Natur - hier sich langsam öffnende Blattknospen
Die Knospen öffnen sich, wenn die Zeit reif ist! Von der Natur können wir sehr viel lernen.
  • das Spüren meines Körpers – zum Beispiel durch Meditation in Form von “Body Scans”, also Reisen durch meinen Körper, um wahrzunehmen, was gerade los ist.
  • das Schärfen der Wahrnehmung meiner körperlichen Grundbedürfnisse, gerade auch im Alltag – Hunger, Durst, Müdigkeit, Harndrang sind Alarmsignale für das Nervensystem.
  • das Erfüllen meiner Grundbedürfnisse! Das wird uns leider oft abtrainiert (z. B. in der Schule: “Reiß dich zusammen – getrunken wird in der Pause!”), ist jedoch der simpelste und grundlegendste Weg, das Nervensystem Sicherheit spüren zu lassen.
  • Zeit in der Natur – beobachten und spüren, wie alles sich in seinem ureigenen Tempo entwickelt und das auch auf mich zutrifft, als Teil der Natur.
  • regelmäßige Bewegung – sei es ein Spaziergang, Yoga, tanzen oder was auch immer mir und meinem Körper gerade gut tut und Glückshormone bringt. 🙂
  • Zeit mit lieben Menschen, vor allem meinem Mann – einfach ich selbst sein können und in die Co-Regulation zu gehen, wobei die Nervensysteme sich sozusagen verbinden und gegenseitig regulieren.

Ein bisschen ausführlicher habe ich über diese und weitere Strategien und Tools in diesen beiden Artikeln berichtet:

Bin ich zu früh gestartet? – Jein!

Der Sprung in die Selbstständigkeit hat mein Nervensystem in höchste Alarmbereitschaft versetzt – ob ich das nun wahrhaben wollte oder nicht. In dem kapitalistischen System, in dem wir nun mal leben, braucht es finanzielle Ressourcen, um zu überleben. Ohne regelmäßige Einnahmen ist die eigene Existenz bedroht – und der Job des Nervensystems ist es, diese zu sichern!

Kein Wunder, dass es da Alarm schlägt, oder? Bei Existenzängsten ist für das Nervensystem Schluss mit lustig. Da können wir noch so sehr unseren Verstand bemühen und mit Argumenten kommen, dass schon alles gut gehen wird.

Und das trifft – logischerweise – besonders dann zu, wenn sich das Nervensystem grundsätzlich in einem (eher) dysregulierten Zustand befindet. Ein reguliertes Nervensystem, das eine Bedrohung der Existenz wahrnimmt, setzt Ressourcen frei, um kreative Lösungen zu finden. In innerer Sicherheit verankert, ist der temporäre Wegfall äußerer Sicherheiten nicht so tragisch und kann gut ausgeglichen werden.

Ein dysreguliertes Nervensystem jedoch ist dazu nicht in der Lage – es geht direkt auf Alarmstufe Rot und leitet den Shutdown ein (oder zumindest eine extreme Überaktivierung, die früher oder später ebenfalls im Shutdown endet).

Aus Sicht meines Nervensystems bin ich also tatsächlich zu früh in die Selbstständigkeit gestartet. Es hätte mir – bzw. meinem Nervensystem – besser getan, noch zu warten. Ich hätte z. B. gerne im Sommer 2020 schon meine Coaching-Ausbildung anleiern können – aber mir mit dem Thema Selbstständigkeit noch Zeit gelassen. Einfach noch ein paar Monate lang in Ruhe mit mir, meinen neu erlernten Coaching-Tools und meiner Therapie verbracht, das Finanzielle mit meiner Familie geklärt und weiter geheilt.

So, wie meine Innenwelt zu dem Zeitpunkt aussah, war das aber nie eine echte Alternative! Die drohende Existenzgefährdung übertrumpfte alles. Meine Entscheidungen waren nicht mehr von meiner Intuition und meinem “gesunden Verstand” getrieben, sondern von einem Nervensystem im Alarm-Modus und einem “pseudo-rationalen Verstand”, der alten Prägungen, gesellschaftlichen Narrativen und Konditionierungen nachkam.

Und falls du dich jetzt wunderst, ob angesichts der Existenzangst die Jobsuche nicht die einfachste, logischste Alternative gewesen wäre: Ganz klar nein. Ich war noch so traumatisiert von Jahren der Überanpassung, dass das (wie oben bereits erwähnt dank des finanziellen Rückhalts meiner Familie) tatsächlich noch unsicherer erschien. Übrigens hat sich auch diese Ansicht mittlerweile, mit einem regulierteren Nervensystem, geändert und ich schließe eine erneute Anstellung nicht mehr kategorisch aus!

Heißt das alles jetzt, dass ich meine Entscheidung, mich so früh zu 100 % selbstständig zu machen, bereue?
Nein!

Wie gesagt: Im damaligen Zustand meines Nervensystems war die direkte Selbstständigkeit die bestmögliche Entscheidung. Ein paar Wochen lang im letzten Jahr habe ich sie zwar infrage gestellt – allerdings nur, um schnell festzustellen, dass das das Schlimmste ist, was ich tun kann.

Ändern kann ich es ja sowieso nicht mehr, also warum mich damit quälen und mein Nervensystem im Nachhinein noch mehr damit stressen?

Das einzig Sinnvolle ist doch, mich jetzt bestmöglich um mich zu kümmern. Mein Nervensystem und seine Signale zu ehren und jetzt, da ich es besser weiß, mit ihm zu arbeiten und es zu stärken. Um jetzt bessere Entscheidungen zu treffen, die mich stärken und in die Richtung bringen, in die ich möchte.

Fazit: Vergangenes nicht hinterfragen, sondern daraus lernen

Ich heute - dankbar und guter Dinge, mit immer regulierterem Nervensystem die Selbstständigkeit gut und gesund managen zu können.

Letzten Endes bin ich trotz aller Zweifel, die mich ab und zu heimsuchen, trotz aller Unsicherheiten und verzweifelter Momente dankbar für die letzten zwei Jahre.

Ich bin dankbar für alles, was ich aus dieser wilden Achterbahnfahrt lernen durfte (oder musste) und freue mich auf alles, was kommt. Eine Achterbahnfahrt wird es bestimmt bleiben – nur nicht mehr ganz so wild, denn mittlerweile habe ich eine gewisse Baseline, eine Grund-Sicherheit, von der aus die Ausschläge nicht mehr ganz so heftig werden. Anders gesagt: Ich bin mittlerweile guter Dinge, mit immer regulierterem Nervensystem die Selbstständigkeit gut und gesund managen zu können.

Danke, dass du mich auf diesem Weg begleitest!

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